Im vorangehenden Beitrag Was ist die Priorität eines Patents? wurde bereits auf die Priorität eines Patents bzw. einer Patentanmeldung eingegangen. So wurde insbesondere dargelegt, dass die Inanspruchnahme der Priorität aus einer ersten Patentanmeldung bei Einreichung einer späteren zweiten Patentanmeldung im In- oder Ausland eine vorteilhafte Verschiebung des Zeitrangs der zweiten Patentanmeldung auf den früheren Anmeldetag der ersten Patentanmeldung bewirkt. Was aber soll man tun, wenn eine Erfindung nach Einreichung der ersten Patentanmeldung im 12-monatigen Prioritätszeitraum weiterentwickelt wurde, so dass mittlerweile vorteilhafte Weiterbildungen der Erfindung hinzugekommen sind? Eine Aufnahme derselben in die erste Patentanmeldung ist nämlich nachträglich nicht möglich.
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Vorauszuschicken ist, dass der Umfang der Weiterentwicklungen meist davon abhängt, wie weit die Entwicklung zum Zeitpunkt der ersten Patentanmeldung fortgeschritten war. Lag zum Zeitpunkt der ersten Patentanmeldung bereits ein vollständig durchkonstruiertes Produkt vor, das in dieser Form auf den Markt gebracht werden sollte und das mit all seinen Merkmalen auch in die erste Patentanmeldung eingeflossen ist, so halten sich die Weiterentwicklungen in der Regel in Grenzen. In anderen Fällen wird eine erste Patentanmeldung bereits eingereicht, wenn zunächst nur ein sehr abstrakter Erfindungsgedanke vorliegt, um sich dadurch einen möglichst frühen Anmeldetag und somit einen entsprechend frühen Prioritätstag für die zweite Patentanmeldung zu sichern. Auch werden derart frühe erste Patentanmeldungen gerne kurzfristig vor einem mit einem potentiellen Kunden anberaumten Treffen eingereicht. Hierdurch soll gewissermaßen amtlich dokumentiert werden, welche Erfindungsmerkmale aus dem eigenen Haus stammen und bereits vor der Besprechung vorlagen. Späteren Unstimmigkeiten, welche Erfindungsmerkmale vielleicht vom Kunden selbst eingeflossen sind, kann dadurch bis zu einem gewissen Maß vorgebeugt werden. Bei derartigen ersten Patentanmeldungen wird auch von provisorischen Patentanmeldungen oder – salopp formuliert – von „Quick & Dirty“-Patentanmeldungen gesprochen, „Quick“ im Sinne von „schnell“, weil diese mitunter noch am Vorabend der Besprechung formuliert und eingereicht werden. „Dirty“ im Sinne von „schmutzig“, weil die Erfindung darin zwar nicht schlecht, aber eben nur rudimentär beschrieben wird.
Unabhängig vom Umfang der Weiterentwicklung in den geschilderten Fällen sollte der Patentanmelder erwägen, diese zusätzlichen Erfindungsmerkmale spätestens in die zweite Patentanmeldung einfließen zu lassen. Dies hätte nämlich zwei Vorteile: Zum einen bedarf es nicht mehrerer Patente mit den entsprechenden Kosten, um sich eine Monopolstellung auch für die Weiterentwicklungen zu sichern. Zum anderen steigen die Erfolgsaussichten der zweiten Patentanmeldung auf eine Patenterteilung. Am fiktiven Beispiel eines Fußballschuhs mit lösbaren Stollen, den unsere Leser bereits aus dem Artikel Zwei hartnäckige Patent-Irrtümer kennen, soll dies veranschaulicht werden:
Die Erfindung sei also ein Fußballschuh mit lösbar an der Sohle befestigten Stollen. Da den Erfindern bislang nur Fußballschuhe mit Stollen bekannt waren, die einstückig mit der Sohle ausgebildet sind, wurde eine erste Patentanmeldung eingereicht. Die erste Patentanmeldung ist abstrakt auf den Fußballschuh mit lösbaren Stollen gerichtet, ohne konkret auf die Befestigungsmethode einzugehen. Mit dem Anmeldetag der ersten Patentanmeldung wird die 12-monatige Prtioritätsfrist in Gang gesetzt. Nach einem halben Jahr finden die Entwickler heraus, dass die lösbare Anordnung der Stollen besonders vorteilhaft ist, wenn die Stollen lösbar an der Sohle festgeschraubt sind. Es soll sich also um Schraubstollen handeln. Kurz vor Ablauf des Prioritätszeitraums wird die zweite Patentanmeldung unter Inanspruchnahme der Priorität aus der ersten Patentanmeldung im In- und Ausland eingereicht. Die zweite Patentanmeldung umfasst den Inhalt der ersten Patentanmeldung ergänzt um das Merkmal der Schraubstollen, wobei auf die Schraubstollen ein Unteranspruch gerichtet ist, der als solcher den angestrebten Schutzbereich zunächst nicht einschränkt.
Führt die zweite Patentanmeldung uneingeschränkt zu einem Patent, so ist zum einen der allgemeine Erfindungsgedanke der lösbaren Stollen geschützt, zum anderen ist auch die Weiterentwicklung der Schraubstollen bereits beinhaltet. So ist nicht nur eine mögliche Rückzugsposition enthalten und ein paralleles selbstständiges Patent auf die Weiterentwicklung entbehrlich. Vielmehr ist Wettbewerbern auch die Erlangung eines Patents auf die Weiterentwicklung in Form von Schraubstollen verwehrt. Wird im Prüfungsverfahren der zweiten Patentanmeldung hingegen ein Stand der Technik entgegengehalten, der bereits lösbare Stollen an einem Fußballschuh zeigt, der jedoch weder Schraubstollen offenbart, noch solche lösbar verschraubten Stollen nahezulegen vermag, kann auf die zweite Patentanmeldung noch immer ein auf lösbare Stollen in Form von Schraubstollen eingeschränktes Patent erreicht werden.
Wenngleich die Einbindung von Weiterentwicklungen in die prioritätsbasierende zweite Patentanmeldung also wesentliche Vorteile hat, so sollten doch die beiden folgenden Hinweise nicht außer acht gelassen werden:
- Die in die zweite Patentanmeldung eingeflossenen neuen Merkmale der Weiterentwicklung genießen nicht die Priorität aus der ersten Patentanmeldung. Dies liegt daran, dass die erste Patentanmeldung zwar den allgemeinen Erfindungsgedanken, hier die lösbaren Stollen, nicht aber bereits den konkretisierten Erfindungsgedanken, nämlich den Schraubstollen, offenbart. Eine Möglichkeit, den Zeitrang des Merkmals „Schraubstollen“ zu verbessern, könnte durch eine zusätzliche Patentanmeldung im Prioritätszeitraum erreicht werden, die den Fußballschuh mit Schraubstollen betrifft und ihrerseits eine weitere Prioritätsfrist in Gang setzt. Die zweite Patentanmeldung könnte dann sowohl die Priorität aus der ersten Patentanmeldung als auch die Priorität aus der zusätzlichen Patentanmeldung in Anspruch nehmen. Alternativ könnte, sofern man die 12 Monate der Prioritätsfrist aus der ersten Patentanmeldung nicht ganz ausschöpfen möchte, die zweite Patentanmeldung unmittelbar nach Entwicklung der Schraubstollen unter Einbindung der Schraubstollen in die Anmeldung eingereicht werden.
- Sollte die Weiterentwicklung nicht den grundlegenden Erfindungsgedanken, also die Stollen bzw. deren lösbare Anordnung an der Sohle, sondern einen anderen Bereich des Fußballschuhs betreffen, beispielsweise eine Verschlusstechnik des Oberschuhs, so sollte abgewogen werden, ob hierauf nicht eine selbstständige Patentanmeldung gerichtet wird. Dies gilt insbesondere, wenn die hier beispielhaft genannte Verschlusstechnik gänzlich unabhängig davon ihre vorteilhafte Wirkung entfaltet, ob an dem Schuh Stollen vorgesehen sind oder nicht.
Sollten Sie die vorangehenden Ausführungen nicht auf Anhieb verstanden haben, so folgen Sie dem Ratschlag des Fußball-Philosophen Lothar Matthäus, nämlich „jetzt nur nicht den Sand in den Kopf“ zu stecken, und schicken Sie uns Ihre Fragen zum Artikel einfach per E-Mail …