Einheitspatent – Was man darüber wissen sollte.

Während meiner Ausbildung zum Patentanwalt, die mittlerweile schon über 20 Jahre zurückliegt, bin ich auf einen Artikel gestoßen, der sich mit dem „Gemeinschaftspatent“ befasste. Also einem einheitlichen Patent für die Europäische Gemeinschaft. Als ich dies meinen damaligen Ausbildern berichtete, konnten diese nur ein müdes Lächeln aufbringen. Offensichtlich war das Gemeinschaftspatent bereits zuvor so oft in Aussicht gestellt worden, dass schon damals niemand so recht an dessen Umsetzung glauben konnte. Am 1. Juni 2023 war es dann aber dennoch so weit, die Geburtsstunde „des europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung“, das auch als „Einheitspatent“ bezeichnet wird.

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Um zu verstehen, welche Änderungen mit dem Einheitspatent einhergehen, lohnt zunächst ein Blick darauf, wie bislang europäische Patente erlangt wurden. Die rechtliche Grundlage bildet nach wie vor das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) aus dem Jahre 1973. Dem Europäischen Patentübereinkommen gehören 39 Mitgliedsstaaten, ein Erstreckungsstaat (Bosnien und Herzegowina) und vier sogenannte Validierungsstaaten an, wobei letztere auch „Exoten“ wie Tunesien oder Kambodscha umfassen. So kann eine Patentanmeldung beim Europäischen Patentamt eingereicht, von diesem geprüft und – sofern die Voraussetzungen gegeben sind – ein europäisches Patent erteilt werden. Dieses Patent ist damit jedoch noch nicht in allen 44 Staaten validiert. Vielmehr endet mit der Erteilung des Patents die zentrale Behandlung und Verwaltung der Patentanmeldung bzw. des Patents und der Patentinhaber ist gezwungen, das europäische Patent in den von ihm gewünschten Staaten einzeln zu validieren, wobei hier neben dem administrativen Aufwand auch zusätzliche Kosten, beispielsweise für Übersetzungen, hinzukommen können.

Letztlich zerfällt das europäsche Patent auf diese Weise in ein Bündel nationaler Patente, weshalb man beim herkömmlichen europäischen Patent auch von einem Bündelpatent spricht. Die Folgen hiervon sind weitreichend, zumal jedes einzelne Patent des Bündels wie ein nationales Patent im jeweiligen Land behandelt wird. Dies bedeutet, dass die entsprechenden Jahresgebühren an die nationalen Ämter, nicht mehr zentral an das Europäische Patentamt zu entrichten sind. Wenn man als Patentinhaber gegen einen Patentverletzer vorgehen möchte, der in mehreren Ländern aktiv ist, so ist man überdies gezwungen, in jedem dieser Länder ein Verletzungsverfahren vor dem jeweiligen nationalen Gericht anzustrengen. Umgekehrt sind Dritte, die das Patent in den Ländern nichtig klagen möchten, gleichermaßen genötigt, das Patent vor den einzelnen nationalen Gerichten zu bekämpfen. Überdies können die nationalen Gerichte sowohl bei den Verletzungsverfahren als auch bei den Nichtigkeitsverfahren zu unterschiedlichen Urteilen gelangen.

Hier kommt nun das neue Einheitspatent zum Zuge. So haben bislang 17 Staaten der Europäischen Union das sogenannte Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (EPGÜ) unterzeichnet und ratifiziert. Ist das eingangs geschilderte Anmeldeverfahren vor dem Europäischen Patentamt mit einer Patenterteilung abgeschlossen, so hat der Patentinhaber nunmehr die Möglichkeit einen Antrag auf einheitliche Wirkung zu stellen, der letztlich zu dem genannten Einheitspatent mit Wirkung in allen 17 Staaten führt, ohne dass in diesen Staaten auf nationaler Ebene Maßnahmen ergriffen werden müssten. So müssen die Jahresgebühren für das Einheitspatent nicht an die nationalen Ämter entrichtet werden, sondern vielmehr weiterhin an das Europäische Patentamt. Für Verletzungsklagen aus dem Einheitspatent sowie Nichtigkeitsklagen gegen das Einheitspatent ist das zu diesem Zweck neu errichtete Einheitliche Patentgericht ausschließlich zuständig.

Im Rahmen der Vorbereitung auf das neue Einheitspatent bzw. Einheitspatentgericht wurden häufig die nachstehenden Fragen an mich herangetragen, auf die hier nochmals in gebotener Kürze eingegangen werden soll:

  1. Frage: Kann man für ein vor dem 1. Juni 2023 erteiltes Bündelpatent noch eine einheitliche Wirkung bzw. ein Einheitspatent beantragen?
    Antwort: Nein, und zwar unabhängig davon, ob das Bündelpatent alle 17 Mitgliedsstaaten des Einheitspatents umfasst oder nicht.
  2. Frage: Hat das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht Auswirkungen auf ein vor dem 1. Juni 2023 erteiltes Bündelpatent oder ein nach dem 1. Juni 2023 erteiltes Bündelpatent, für das eben keine einheitliche Wirkung beantragt wurde?
    Antwort: Ja, denn für Bündelpatente besteht eine parallele Zuständigkeit sowohl der nationalen Gerichte als auch des Einheitspatentgerichts soweit Mitgliedsstaaten des Einheitspatents betroffen sind. Erhebt ein Dritter Nichtigkeitsklage vor dem Einheitspatentgericht, kann das Bündelpatent in den Mitgliedsstaaten des Einheitspatents durch ein zentrales Verfahren vernichtet werden. Wer dies nicht riskieren möchte, muss spätestens jetzt einen sogenannten Opt-Out-Antrag stellen, der das Einheitspatentgreicht von der Zuständigkeit ausnimmt.
  3. Frage: Entfallen die anderen Länder des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), wenn Antrag auf einheitliche Wirkung gestellt wird?
    Antwort: Nein, vielmehr kann das Patent in denjenigen Staaten, die nicht zu den 17 Mitgliedsstaaten des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht (EPGÜ) zählen, auf herkömmlichem Wege national validiert werden, um auch dort entsprechenden Patentschutz zu erlangen. Sinngemäß ein Bündelpatent, das als einen Bestandteil auch das Einheitspatent umfasst.
  4. Frage: Muss das Einheitspatent alle 17 Mitgliedsstaaten umfassen oder kann man sich einzelne Mitgliedsstaaten auswählen, um ggf. die Jahresgebühren zu reduzieren?
    Antwort: Nein, es gilt „ganz oder gar nicht“ und die Jahresgebühren für das Einheitspatent sind unveränderlich.
  5. Frage: Kann man nach dem Brexit weiterhin Patentschutz in Großbritannien über eine europäische Patentanmeldung erlangen?
    Antwort: Ja, zwar nicht über das Einheitspatent, jedoch durch nationale Validierung, zumal Großbritannien weiterhin dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) angehört. Schönes Beispiel dafür, dass man Europa und die EU niemals verwechseln sollte.

Abschließend ist festzuhalten, dass eine Antwort auf die Frage „Einheitspatent ja oder nein“ bzw. „Opt-Out ja oder nein“ im Wesentlichen von der Wichtigkeit und Stärke eines Patents einerseits und der tatsächlich benötigten räumlichen Ausdehnung des Schutzes und der damit verbundenen Kosten andererseits abhängt. Hier gilt es, eine Abwägung für jedes einzelne Patent vorzunehmen. Eine pauschale Antwort kann insofern leider nicht gegeben werden. Überdies bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich die Rechtsprechung des einheitlichen Patentgerichts entwickelt.