„Innere Priorität“ und „Kettenpriorität“

Wenig überraschend erreichten mich nach der Veröffentlichung der Podcast-Episoden zum Prioritätsrecht (Was ist die Priorität eines Patents, Weiterentwicklung der Erfindung im Prioritätszeitraum) Fragen von Hörern. „Wenig überraschend“, weil dieses Thema mitunter verwirrend ist. Ich nehme die Fragen zum Anlass, die zuvor nicht oder lediglich unzureichend angesprochenen Punkte nachzureichen. Die Kurzantworten auf die beiden wesentlichen Fragen lauten zum einen „innere Priorität“ und zum anderen „Kettenpriorität“. Aber der Reihe nach …

In dem Beitrag Was ist die Priorität eines Patents wurde das Prioritätsrecht anhand eines Beispiels erläutert. In diesem Beispiel wurde zunächst eine erste Patentanmeldung in Deutschland eingereicht. Innerhalb der Prioritätsfrist von 12 Monaten nach der Einreichung der ersten Patentanmeldung in Deutschland wurde für dieselbe Erfindung eine zweite Patentanmeldung in Frankreich eingereicht. In die zweite Patentanmeldung wurden darüber hinaus Weiterentwicklungen der ursprünglichen Erfindung aufgenommen (siehe auch Weiterentwicklung der Erfindung im Prioritätszeitraum). Die Einreichung in Frankreich erfolgte unter Inanspruchnahme der Priorität aus der ersten Patentanmeldung. Auf diese Weise erhielt die französische Patentanmeldung den Zeitrang der deutschen Patentanmeldung. Mithin stellt der Stand der Technik, der möglicherweise im Zeitraum zwischen der deutschen und französischen Patentanmeldung entstanden ist, zumindest kein Patentierungshindernis für den auch in der französischen Patentanmeldung enthaltenen ursprünglichen Erfindungsgedanken dar.

Die erste Frage hierzu kam von einem Hörer, der gar keine Patente außerhalb Deutschlands anstrebt. Dennoch möchte er seine Weiterentwicklungen der Erfindung nach der Einreichung der Patentanmeldung in Deutschland noch nachträglich in eben diese deutsche Patentanmeldung einbringen. Schließlich war dies bei der nachträglichen zweiten Patentanmeldung in Frankreich ja auch möglich.

Antwort: Zwar kann der Anmelder seine ursprüngliche deutsche Patentanmeldung nicht entsprechend erweitern, aber das deutsche Patentgesetz leistet hier eine Hilfestellung. Nach §40 PatG steht dem Anmelder nämlich innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach dem Anmeldetag einer beim Deutschen Patentamt eingereichten früheren Patentanmeldung für die Anmeldung derselben Erfindung zum Patent in Deutschland ein Prioritätsrecht zu. Mit anderen Worten gilt ein Prioritätsrecht auch innerhalb Deutschlands allein, wobei auch von der „inneren Priorität“ gesprochen wird. Mithin kann es sich sowohl bei der ersten als auch bei der prioritätsbasierenden zweiten Patentanmeldung um eine deutsche Patentanmeldung handeln. Die Vorteile des Prioritätsrechts bestehen auch bei der inneren Priorität, d. h. der Zeitrang der ersten deutschen Patentanmeldung wird gleichermaßen gesichert und es können auch noch Weiterentwicklungen in die zweite deutsche Patentanmeldung eingebracht werden. Aber nicht vergessen: Die Weiterentwicklungen genießen – wie bei einer Nachanmeldung im Ausland – nicht den Zeitrang aus der ersten Patentanmeldung (siehe auch Weiterentwicklung der Erfindung im Prioritätszeitraum).

Im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der inneren Priorität ist noch zu erwähnen, dass die erste deutsche Patentanmeldung mit der Einreichung der zweiten deutschen Patentanmeldung als zurückgenommen gilt. Dies ist jedoch insofern unproblematisch, als dass der Zeitrang der ersten Patentanmeldung – zumindest im Normalfall – an die zweite Patentanmeldung weitergegeben wurde. Des Weiteren muss die erste Anmeldung nicht zwangsläufig eine Patentanmeldung sein, vielmehr kann es sich auch um eine erste Gebrauchsmusteranmeldung handeln, deren Priorität für eine nachfolgende Patentanmeldung in Anspruch genommen wird. Dies gilt jedoch nicht exklusiv für die „innere Priorität“, sondern auch für Prioritätsnachanmeldungen im Ausland. So hat ein Anmelder, der zunächst „nur“ ein Gebrauchsmuster angemeldet hat, noch immer die Möglichkeit, ein Patent für dieselbe Erfindung anzumelden, ohne den vorteilhaften frühen Zeitrang des Gebrauchsmusters einzubüßen. Vorausgesetzt, er entscheidet sich innerhalb des 12-Monats-Zeitraums hierfür.

Die zweite Frage war besonders kreativ. Sinngemäß wollte ein Hörer wissen, ob man eine Art Länderhopping betreiben könne. Also zunächst eine deutsche Patentanmeldung einreicht, danach eine französische Patentanmeldung unter Inanspruchnahme der Priorität aus der deutschen Patentanmeldung, dann wieder eine deutsche Patentanmeldung unter Inanspruchnahme der Priorität aus der französischen Patentanmeldung, anschließend eine erneute französische Patentanmeldung mit der Priorität aus der letzten deutschen Patentanmeldung usw. usf. … Dies jeweils unter größtmöglicher Ausnutzung des jeweiligen Prioritätszeitraums. Hiervon versprach sich der Fragesteller, nicht nur das Prüfungsverfahren, sondern auch die Entscheidung aufschieben zu können, ob und wann man letztlich eine kostspielige prioritätsbasierende internationale Patentanmeldung einreicht.

Antwort: Nein, das ist nicht möglich. Hierdurch wird nämlich versucht, die Prioritätszeiträume aus den aufeinanderfolgenden deutschen und französischen Patentanmeldungen miteinander zu verketten, um letztlich einen über 12 Monate währenden Prioritätszeitraum zu schaffen. Man spricht auch von einer „Kettenpriorität„, die unzulässig ist. Nicht ohne Grund wurde die prioritätsbegründende Patentanmeldung vorangehend stets als „erste Patentanmeldung“ bezeichnet. Auch die Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) aus dem Jahr 1883 spricht bereits von einer „ersten Anmeldung“, mit deren Einreichung die 12-monatige Prioritätsfrist in Gang gesetzt wird. Betreibt man also das geschilderte Länderhopping, so handelt es sich – im Falle gleichbleibender Anmeldeunterlagen – lediglich bei der ursprünglichen Patentanmeldung in Deutschland um eine erste Patentanmeldung, die eine Prioritätsfrist in Gang zu setzen vermag. Bei den inhaltsgleichen späteren Nachanmeldungen ist dies jedoch nicht der Fall. Tritt in der zweiten Patentanmeldung eine Weiterentwicklung hinzu, so vermag diese zweite Patentanmeldung zwar auch einen neuen Prioritätszeitraum von 12 Monaten in Gang zu setzen, dieser betrifft aber nur die in die Anmeldeunterlagen neu aufgenommene Weiterentwicklung, nicht jedoch den Grundgedanken aus der ersten Patentanmeldung in Alleinstellung. Die Unwirksamkeit einer Kettenpriorität gilt übrigens in entsprechender Weise für die Inanspruchnahme innerer Prioritäten.

Sollten auch Sie Fragen zu den Podcast-Episoden oder den entsprechenden Blogbeiträgen haben oder patentanwaltliche Unterstützung benötigen, so sehe ich Ihrer Kontaktaufnahme gerne entgegen.