Dieser Beitrag von Herrn Patentawalt Leckel ist zuerst im VDI-Magazin „Technik in Bayern“ erschienen.
Die Grundlage für die Ausarbeitung einer Patentanmeldung durch einen Patentanwalt oder -assessor bildet meist eine sogenannte Erfindungsmeldung, in der ein Arbeitnehmererfinder seine Erfindung schriftlich dargelegt hat, oder/und eine Rücksprache zwischen Erfinder und beauftragtem Patentanwalt. Ist der Entwurf der Patentanmeldung erstellt, wird dieser dem Erfinder vorgelegt, so dass noch vor Einreichung der Patentanmeldung die Möglichkeit besteht, die Richtigkeit und Vollständigkeit des Entwurfs zu überprüfen.
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Natürlich ist es wünschenswert, wenn der Erfinder den Entwurf annähernd vollständig liest. Dies ist jedoch meist unrealistisch, denn zum einen sind die Erfinder bzw. Entwickler selbst terminlich stark eingebunden und zum anderen lehrt die Erfahrung, dass das Lesen eines Patentanmeldungsentwurfs vom Gros der Erfinder eher nicht als „vergnügungssteuerpflichtig“ angesehen wird. Letzteres liegt insbesondere an den abstrakten Formulierungen in dem Entwurf und einer mangelnden Kenntnis des Aufbaus einer Patentanmeldung. Erhält der ausarbeitende Patentanwalt das Einverständnis des Erfinders zu einem 40-seitigen Entwurf bereits wenige Minuten nach Übermittlung des Entwurfs, so darf davon ausgegangen werden, dass keine erfinderseitige Prüfung stattgefunden hat.
Dies ist aus den genannten Gründen nachvollziehbar und der Erfinder darf in der Regel auch davon ausgehen, dass der Patentanwalt den Gegenstand der Erfindung richtig erfasst und abstrahiert hat. Die Rückmeldung des Erfinders zum Entwurf stellt jedoch die letzte Möglichkeit dar, den Offenbarungsgehalt dieser konkreten Patentanmeldung zu erweitern oder/und verstärkt in eine bestimmte Richtung zu lenken, wodurch sich die Chancen auf eine spätere Patenterteilung erhöhen können. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur sinnvoll, sondern mit einem gewissen Grundverständnis für die Bestandteile einer Patentanmeldung auch mit geringerem Zeitaufwand möglich, den Entwurf zu prüfen, ohne diesen in seiner Gesamtheit lesen zu müssen.
Ehe auf die einzelnen Prüfungsschritte eingegangen wird, sollte jedoch ein Blick auf den Aufbau der Patentanmeldung geworfen werden. Die Gesamtheit des Entwurfs umfasst in der Regel die in Abb. 1 dargestellten Bestandteile, nämlich Beschreibung, Patentansprüche, Figuren und Zusammenfassung. Die überdies dargestellten Unterpunkte sind nicht zwangsläufig mit einer entsprechenden Überschrift gekennzeichnet, im Entwurf jedoch recht schnell erfassbar. Ausgehend von dem Aufbau des Entwurfs wird empfohlen, dass sich der „eilige Erfinder“ gezielt auf die wesentlichen Bestandteile bzw. Unterpunkte derselben konzentriert und in der nachstehend näher beschriebenen Reihenfolge abarbeitet, die auch in Abb. 1 angedeutet ist.
Schritt 1: Stand der Technik prüfen
Der Patentanmeldungsentwurf stellt im Wesentlichen eine Abgrenzung gegenüber dem sogenannten Stand der Technik dar. Hierbei handelt es sich sinngemäß um ein technisches Niveau, über das sich eine Erfindung erheben muss, um patentwürdig zu sein. Der Stand der Technik umfasst dabei alle Kenntnisse, die vor dem bevorstehenden Anmeldetag der Patentmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.
Die Beschreibung des Standes der Technik innerhalb des Entwurfs bezieht sich regelmäßig auf veröffentlichte Druckschriften, also beispielsweise andere Patentanmeldungen oder Patentschriften. Der dort genannte Stand der Technik wurde meist bereits vor Erstellung des Entwurfs durch den Erfinder selbst genannt oder im Rahmen einer Recherche ermittelt. Insofern kann sich der Erfinder hier auf die Prüfung beschränken, ob ihm zwischenzeitig ein weiterer Stand der Technik bekannt geworden ist, der nach seiner Einschätzung der Erfindung nahekommt. Eine eingehende Analyse des bereits genannten und des gegebenenfalls hinzukommenden Standes der Technik ist hierbei nicht erforderlich. Dies kann vielmehr dem Patentanwalt überlassen bleiben, dem der weitere Stand der Technik lediglich mitgeteilt werden sollte.
Grundsätzlich gilt jedoch, dass jedweder nahekommende Stand der Technik, der dem Erfinder in der Zeit zwischen der Erfindungsmeldung und der Ausarbeitung des Entwurfs bekannt wird, stets sofort mitgeteilt werden sollte. Wird nämlich ein für die Erfindung „tödlicher“ Stand der Technik entdeckt, jedoch erst nach der Erstellung des Entwurfs übermittelt, kann der bisherige Entwurf im ungünstigsten Fall wertlos sein.
Schritt 2: Unabhängigen Anspruch prüfen
Bei den durchnummerierten Patentansprüchen des Entwurfs können unabhängige Ansprüche und abhängige Ansprüche unterschieden werden. Während die unabhängigen Ansprüche auf keinen der anderen Ansprüche zurückbezogen sind, weisen die abhängigen Ansprüche (auch Unteransprüche genannt) einen Rückbezug auf einen der vorangehenden Ansprüche auf (beispielsweise „… nach Anspruch 1 oder 2 …“). Mithin ist der Anspruch 1 (auch Hauptanspruch genannt) stets ein unabhängiger Anspruch, der geprüft werden sollte. Überdies kann jedoch auch noch ein weiterer unabhängiger Anspruch (auch Nebenanspruch genannt) folgen, was zum Beispiel dann der Fall ist, wenn der unabhängige Anspruch 1 auf ein Produkt und ein nachfolgender unabhängiger Anspruch auf ein Verfahren zur Herstellung des Produkts gerichtet ist. In einem solchen Fall sollten auch beide unabhängigen Ansprüche einzeln genauer unter die Lupe genommen werden.
Der unabhängige Anspruch bildet gewissermaßen die Essenz der Erfindung. Im unabhängigen Anspruch ist die Erfindung in relativ abstrakter Form auf ihre wesentlichen Merkmale heruntergebrochen, die in dieser Kombination den von der Patentanmeldung angestrebten Schutzbereich beschreiben. Sollte der unabhängige Anspruch mit dieser Merkmalskombination zu einer Patenterteilung führen, so sind Wettbewerber daran gehindert, eben diese Merkmalskombination in deren Produkten oder Verfahren zu verwirklichen.
Bei diesem Schritt prüft der Erfinder, ob sich der unabhängige Anspruch Merkmal für Merkmal auf alle Ausführungsformen der Erfindung „liest“, an die der Erfinder beim Einreichen der Erfindungsmeldung gedacht hat. Hintergrund ist, dass in die Erfindungsmeldung in der Regel zwar mindestens eine konkrete Ausführungsform der Erfindung eingeflossen ist, häufig aber nicht alle Ausführungsformen, die der Erfinder vielleicht im Hinterkopf gehabt haben mag. Überdies lehrt die Erfahrung, dass dem Erfinder spätestens bei Vorliegen des Entwurfs weitere vorteilhafte Weiterbildungen der Erfindung einfallen, die dann eben auch von dem relativ allgemein gehaltenen unabhängigen Anspruch umfasst sein sollten.
Um dies anschaulicher zu gestalten, ein Beispiel: Der unabhängige Anspruch soll neben anderen Merkmalen das Merkmal enthalten, dass „das Bauteil A an dem Bauteil B befestigt ist“. In der Erfindungsmeldung war in diesem Zusammenhang lediglich eine konkrete Befestigungsform, nämlich durch Verschweißen der beiden Bauteile A und B, genannt. Der Erfinder ist mittlerweile jedoch auf eine weitere sinnvolle Befestigungsform, nämlich mit Hilfe einer Schraubverbindung, gestoßen oder hatte diese von Anfang an im Hinterkopf, ohne diese explizit zu nennen. Nun gilt es zu ermitteln, ob sich das allgemeine Merkmal, nämlich dass „das Bauteil A an dem Bauteil B befestigt ist“, auch auf eine Schraubverbindung zwischen den Bauteilen liest. Dies ist hier offenkundig der Fall, zumal das allgemeine Merkmal jedwede Befestigung abdeckt, so dass keine Anpassung des unabhängigen Anspruchs notwendig ist. Anders fiele die Beurteilung aus, wenn der Erfinder auch eine Ausführungsform im Sinn hat oder hatte, bei der das Bauteil A gar nicht an dem Bauteil B befestigt sein muss. Bei dem „Merkmal zu viel“ in dem unabhängigen Anspruch des Entwurfs dürfte es sich dann zwar um eine gezielt eingesetzte Einschränkung zur Abgrenzung gegenüber einem bestimmten Stand der Technik handeln, dennoch sollte der ausarbeitende Patentanwalt über das „Merkmal zu viel“ informiert werden, um ein Kommunikations- oder Verständnisproblem ausschließen zu können.
Die im unabhängigen Anspruch als auch in den abhängigen Ansprüchen verwendeten Bezugszeichen beziehen sich übrigens auf die in den Figuren gezeigten Bezugszeichen. Auf diese Weise sind die Merkmale des Anspruchs trotz der sperrigen Formulierungen unter Hinzuziehung der Figuren leichter verständlich. Eine Einschränkung des Anspruchs auf die in der Figur dargestellte konkrete Ausführungsform geht mit der Verwendung der Bezugszeichen im Anspruch jedoch nicht einher.
Schritt 3: Abhängige Ansprüche prüfen
Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei den abhängigen Ansprüchen um solche Ansprüche, die unmittelbar oder mittelbar auf die unabhängigen Ansprüche rückbezogen sind. In den abhängigen Ansprüchen sind Merkmale genannt, die zu den Merkmalen des unabhängigen Anspruchs hinzutreten oder die Merkmale des unabhängigen Anspruchs konkretisieren können. Dabei werden die abhängigen Ansprüche häufig fälschlicherweise als den angestrebten Schutzbereich einschränkende Merkmale interpretiert. Tatsächlich stellen die Merkmale der Unteransprüche jedoch keine Einschränkung dar, solange diese nicht – beispielsweise im Rahmen des Prüfungsverfahrens – in den unabhängigen Anspruch übernommen werden. Mithin sollten die Merkmale in den abhängigen Ansprüchen vielmehr als mögliche Rückzugspositionen betrachtet werden, sofern die im unabhängigen Anspruch sehr allgemein beschriebene Erfindung nicht patentwürdig sein sollte.
Bei der Durchsicht der abhängigen Ansprüche kann das Augenmerk darauf gerichtet werden, ob es sich bei den darin enthaltenen Merkmalen um solche handelt, die besondere Vorteile mit sich bringen. Merkmale, auf die man sich notfalls auch einschränken und mit denen man noch immer einen sinnvollen Schutzbereich erzielen würde. Da es sich bei den Merkmalen der abhängigen Ansprüche aber auch um banale, jedoch gezielt eingesetzte Konkretisierungen zur möglichen Abgrenzung gegenüber einem bestimmten Stand der Technik handeln kann, ist es bei Betrachtung der abhängigen Ansprüche insbesondere von Interesse, welche Merkmale zwar allgemein abgedeckt, jedoch nicht konkret enthalten sind. Um bei dem Beispiel der beiden aneinander befestigten Bauteile A und B aus dem unabhängigen Anspruch zu bleiben: Sollte keiner der abhängigen Ansprüche eine Konkretisierung auf die besonders vorteilhafte Variante beinhalten, bei der die Befestigung des Bauteils A an dem Bauteil B durch eine Schraubverbindung erfolgt, so sollte darauf hingewiesen werden. Ob auf Grundlage dieses Hinweises tatsächlich ein weiterer abhängiger Anspruch formuliert oder die entsprechende Variante lediglich als bevorzugte Ausführungsform in die Beschreibung aufgenommen wird, kann dem Patentanwalt überlassen bleiben.
Schritt 4: Abstrakte Beschreibung der Erfindung prüfen
Im Aufbau des Entwurfs schließt sich die abstrakte Beschreibung der Erfindung an die Aufgabenstellung an. Dabei fällt auf, dass sich in der abstrakten Beschreibung im Wesentlichen die Patentansprüche absatzweise wiederholen. Aber eben nicht nur. Vielmehr sind auch die damit jeweils einhergehenden Vorteile genannt, die – sofern nicht vollständig – durch den Erfinder ergänzt werden können. Von besonderem Interesse ist jedoch, dass in der abstrakten Beschreibung mitunter bereits eine vorteilhafte, jedoch nicht einschränkende Konkretisierung der im zugehörigen Anspruch genannten abstrakteren Merkmale erfolgen kann. So kann in der abstrakten Beschreibung zu dem bereits diskutierten unabhängigen Anspruch beispielsweise der Hinweis enthalten sein, dass die aneinander befestigten Bauteile A und B „vorzugsweise“ durch eine Schraubverbindung aneinander befestigt sind. Damit ist das genannte Merkmal in einer Weise offenbart, dass dieses bei Bedarf in den unabhängigen Anspruch aufgenommen werden könnte, ohne dass von Vorneherein ein abhängiger Anspruch darauf gerichtet werden müsste. Dies ist auch insofern von Vorteil, als dass bei Einreichung einer Patentanmeldung ab einer gewissen Anzahl an Patentansprüchen höhere Gebühren anfallen. Auch zeigt sich in der Praxis, dass diese bevorzugten Konkretisierungen von Merkmalen die Erfinder regelmäßig dazu anregen, sich über alternative oder äquivalente Lösungen Gedanken zu machen, die noch nicht ausdrücklich genannt wurden und ergänzt werden könnten.
Schritt 5: Figuren prüfen
Die Figuren können, ohne die zugehörige konkrete Figurenbeschreibung hierzu lesen zu müssen, daraufhin geprüft werden, ob diese noch den aktuellen Konstruktionsstand wiedergeben. Sollte dies nicht der Fall sein, kann der aktuelle Konstruktionsstand in Form weiterer Figuren an den Patentanwalt übermittelt werden, gegebenenfalls mit einem Hinweis, welche Änderungen vorgenommen wurden. Auf dieser Grundlage kann entschieden werden, ob die zusätzliche Aufnahme auch dieser Ausführungsform bzw. Figur in die Patentanmeldung sinnvoll ist.
Fazit
Soweit der Patentanwalt, der den Entwurf ausgearbeitet hat, nicht ausdrücklich um Prüfung bestimmter Passagen des Entwurfs bittet, sollte selbst der terminlich stark eingebundene Erfinder zumindest die vorangehend beschriebenen Schritte 1 und 2 vollziehen. Dadurch wird sichergestellt, dass zumindest der Kerngedanke der Erfindung korrekt erfasst wurde und ein adäquater Schutzbereich anvisiert wird. Wünschenswert im Sinne einer umfassenderen Ausschöpfung aller Aspekte des Erfindungsgedankens ist ferner die sukzessive Durchführung der weiteren vorgenannten Schritte 3 bis 5.